Eine Phantasie: Herr Franz Kafka, die fast unbenützten Räume im Ryogoku-Bahnhof (Tokyo), unterhalb der Geleise der Chuo-Sobu-Linie. Hier könnte ich geboren werden, denkt er.Seit ungefähr 2 Jahren beschäftigt mich das Werk von Franz Kafka, einem Dichter aus Prag. Dieser Künstler hat eine Welt aus Buchstaben geschaffen, welche mir, wenn ich mich in sie begebe, in ihren bruchstückhaften Bauteilen, äußerst vertraut erscheint und ich glaube darin die Welt zu erkennen, in der ich seit 33 Jahre lebe.
Dieser Künstler schrieb über Verhältnisse zwischen Menschen, und zwar in Hinblick auf Macht und deren Struktur, wie sie zwischen allen Menschen vorkommt. Wenn ich die Realität, in der wir leben, unter Anleitung der Kunst Kafkas interpretiere, glaube ich vieles aus seiner Kunst-Welt zu erkennen. Die Unausgewogenheit der Machtverhältnisse und die nicht enden wollende Ausbeutung der Menschen durch Menschen in ihren unzähligen Formen, die er an sich selbst erlebt und beobachtet hat, ist auch jetzt noch eine traurigmachende Realität dieser Welt.
Der unglückliche Mensch Franz Kafka mußte eine Welt für sich erschaffen, weil es in der Welt, in. der er leben mußte, keinen Platz für ihn gab. Als Mensch lebte er immer dazwischen. Aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie stammend, empfand er sich als zwischen Westjudentum und Ostjudentum stehend, zwischen deutscher Kulturtradition und slawischer Kulturtradition, zwischen Vater und Mutter, zwischen Männern und Frauen, durch seine Homosexualität.
Die Arbeiten Kafkas erscheinen mir als Versuch, einen Platz (sowohl in geistiger, als auch in räumlicher Hinsicht) für ihn zu finden. In seinen Werken gibt es beschriebene Raumsituationen: Keller, Dachböden, unterirdische Räume, enge Kammern und Zimmer. Wenn die Menschen in Massen von Chiba nach Tokyo und zurück fahren, wo ist deren räumlicher Ort wirklich? Züge und Bahnhöfe kann man als Einrichtungen, räumliche Distanzen zu überwinden, sehen oder auch als Maschinen für den massenhaften Transport von Menschen – aber zu welchem Zweck?
FRANZKAFKA
Juli 1883 in Prag geboren Juni 1924 in Kierling, bei Klosterneuburg gestorben Juni 1924 im jüdischen Friedhof Prag-Straschnitz beigesetzt